Bäcker trifft Kräuterhexe – Das besondere Backseminar im Niederrheinische Freilichtmuseum
Habe ich schon mal erwähnt, dass meine Eltern früher eine Bäckerei hatten? Deswegen freue ich mich heute sehr, dass ich an einem ganz speziellen Brotbackseminar im Niederrheinischen Freilichtmuseum in Grefrath teilnehmen und ein bisschen in Erinnerungen schwelgen darf. Das Brot-Objekt der Begierde: ein gewürztes Dinkelbrot nach Hildegard von Bingen. Durchgeführt wird das Seminar von dem Grefrather Bäckermeister Hardy Kreutschmann und der „Kräuterhexe“ Jenny Hengsten, die schon in der dritten Saison gemeinsame Sache machen. Was das Besondere an der Crossover-Veranstaltung ist und was das Geheimnis der perfekten Brotkruste ist, verrate ich euch hier…
Als wir das Niederrheinische Freilichtmuseum in Grefrath erreichen, sehen wir schon einige Seminarteilnehmer, die langsam in Richtung Haupteingang strömen. Treffpunkt ist das moderne Eingangsgebäude, von dem ich immer wieder aufs Neue begeistert bin: die cleane Architektur, im Inneren viel Holz und ein Pädagogikraum mit Panoramablick auf die Dorenburg und das Museumsgelände. Und in genau in diesem findet auch unser Brotbackseminar statt.
Dann stößt auch die „Kräuterhexe“ Jenny Hengsten dazu, stellt sich kurz vor und verrät, was uns heute alles erwartet. „Heute backen wir ein gewürztes Dinkelbrot nach Hildegard von Bingen. Dabei kommt eine eigens für das Seminar zusammengestellte Gewürzmischung zum Einsatz und alle Zutaten stehen im engen Zusammenhang mit Hildegard von Bingen, einer der bekanntesten Frauen des Mittelalters“, erklärt Jenny. „Rund um das Brotbacken bekommt ihr jede Menge Tipps rund um die Herstellung und die Zutaten.“
Die Pop-up-Backstube
Dann dürfen wir in den Pädagogikraum und befinden uns gleichzeitig in einer kleinen Pop-up-Backstube. Mittendrin wartet der Grefrather Bäckermeister Hardy Kreutschmann auf uns, der uns persönlich begrüßt und auch einige Wiederholungs-Back-Täter entlarvt. In der einen Ecke steht eine große Teigknetmaschine, auf dem Tisch Dinkelmehl, Sonnenblumenkerne & Co. im XXL-Format, eine Teigwaage, Holzbackformen und alles, was man sonst noch benötigt.
Wir sind insgesamt 11 Teilnehmer und an unseren Plätzen liegt auch schon das Rezept bereit. Gemeinsam gehen wir dieses direkt Schritt für Schritt durch.
Grünkern als Basis
Eine Zutat, die Jenny, die schon im 13. Jahr im Niederrheinischen Freilichtmuseum den Kräutergarten und die passenden Seminare betreut, schon vorbereitet hat, ist der Grünkern. Bewusst habe ich davon noch nicht gehört und bin, wie meine anderen Seminarteilnehmer gespannt, was sich dahinter verbirgt.
„Grünkern ist nichts anderes als unreif geernteter Dinkel, der zwei bis drei Wochen vor der eigentlichen Reife getrocknet und weiterverarbeitet wird“, erklärt uns Jenny. „Die Geburtsstunde des Grünkerns war aber eher zufällig. Vor ca. 300 Jahren drohte die Ernte aufgrund von starken Regenfällen zu verfaulen. Man hat Dinkel unreif geerntet, über offenes Feuer getrocknet und stellte fest, dass er sehr bekömmlich ist. Für unser Dinkelbrot habe ich zwei Kilo Grünkern in vier Liter Wasser über Nacht einweichen lassen, gekocht und jetzt muss das Wasser gleich rausgelassen werden.“
Gleichzeitig geht Jenny mit dem Topf Grünkern herum, damit wir auch einen optischen Eindruck bekommen, und lässt die rohe Variante und den „normalen“ Dinkel ebenfalls durch die Reihe wandern.
Warum Dinkel?
Wenn ich die Wahl zwischen Weizen, Roggen und Dinkel habe, entscheide ich mich übrigens immer für Dinkel. Ich finde es bekömmlicher und man hat nach dem Essen keinen berühmten Blähbauch, zumindest empfinde ich das bei mir so. Das Urgetreide ist auch sehr interessant für Allergiker und auch Hildegard von Bingen findet Dinkel wohlschmeckender als andere Getreidearten und macht „die Seele des Menschen froh und voll Heiterkeit“, verrät Jenny uns.
„Dinkel ist im Vergleich zu Weizen etwas aufwändiger zu verarbeiten, da das Dinkelkorn eine extra Hülle hat. Frisch gemahlen riecht es toll, so als ob da schon eine Gewürzmischung drin ist“, ergänzt Hardy. Eine kleine Menge mahlt Jenny in einer Holzmühle und lässt auch das frisch gemahlene Dinkelmehl rumgehen. Nicht nur ich bin erstaunt, wie intensiv und würzig es riecht.
Tipps & Tricks
Dann geht es weiter mit dem Rezept und den Zutaten. Hardy erzählt uns, dass durch das Dinkelvollkorn und die Dinkelflocken der Teig lockerer wird und wir die Backzeit des Brotes auf ca. 40 Minuten verkürzen. Durch den Dinkelmalz, der ebenfalls zum Rezept gehört, entsteht eine schöne Kruste und auch die Hefe ist entscheidend.
„Gute Hefe erkennt man an einem schönen, muschelartigen Bruch und an dem obstartigen, milden Geruch. Sie darf auf keinen Fall schmierig sein“, betont Hardy. Das perfekte Anschauungsobjekt bekommen wir ebenfalls geliefert und während die Hefe einmal durch die Reihe wandert, empfiehlt uns Hardy, Hefe nicht einzufrieren, da sie ihre Treibkraft verliert oder man nimmt die doppelte Menge.
Sauerteig für Anfänger
Ebenfalls entscheidend für unser Rezept ist der Dinkel-Sauerteig, weil der PH-Wert des Brotes verändert werden muss, da dieses eine hohe Feuchtigkeit aufweist und sonst zu schimmelanfällig ist. Hardy empfiehlt übrigens das Brot immer ganz zu lassen und nur das abzuschneiden, was man verzehrt, so reduziert man ebenfalls den Schimmelbefall.
Den Sauerteig anzusetzen ist übrigens etwas zeitaufwändiger und hat Hardy auch schon für uns vorbereitet, erklärt uns aber den Entstehungsprozess für zu Hause: Auf 500 g Dinkelschrot kommt 500 ml heißes Wasser, 40 g Salz und 20-30 g Ansatz z.B. Roggen. Das Ganze bleibt vier bis fünf Tage stehen. Sauerteig kann man im Gegensatz zu Hefe prima einfrieren.
Die besondere Gewürzmischung
Neben weiteren Erklärungen wie etwa, warum Salz und Sonnenblumenöl für den Teig ebenfalls wichtig ist, und während Hardy den Teig langsam in die Maschine füllt, bringt uns Jenny ihre Gewürzmischung näher, die später zum Teig hinzugegeben wird. „Das Wichtigste vorab: Ich hatte bei der Zusammenstellung der Gewürze viel Spaß. Sie sind erwärmend, stimmungsaufhellend, nervenstärkend und aphrodisierend – perfekt für die dunklere Jahreszeit“, lacht Jenny. Damit wir einen ersten Eindruck bekommen, lässt sie die Mischung zum Geruchs- und Geschmackstest herumgehen. Genau diesen Moment hat mein Fotograf auch sehr treffend festgehalten.
Von Bertram bis Galgant
„Meine Gewürzmischung enthält Bertram, Galgant, Kubebenpfeffer, Fenchel, Muskatnuss, Gewürznelke und Zimt. Die ersten beiden Gewürze sind heute leider in Vergessenheit geraten“, erklärt Jenny weiter. Bertram und Galgant wirken beide entzündungshemmend, antibakteriell, verdauungsfördernd und schmerzstillend, haben aber darüber hinaus jeder für sich noch weitere positive Eigenschaften auf die Gesundheit.“
Dass Gewürze gut für uns sind, wusste auch schon Hildegard von Bingen, die sehr schön über das Gewürz Galgant geschrieben hat: „Wer am Herzen Beschwerden hat und herzbedingt ohnmächtig wird, der soll alsbald Galgant essen, und es wird ihm besser gehen.“ Auch wer Muskatnuss isst, „öffnet sein Herz und reinigt seine Sinne“.
Rezepte & Infos to go
Wie man diese Gewürze einsetzt, wo sie herkommen und welche Teile der Pflanze man verwendet, hat Jenny in Form von einem Handout zusammengefasst und empfiehlt auch die Gewürzmischung in der Aromatherapie zu verwenden, zum Beispiel durch Verräuchern auf einem Räucherstövchen mit Sieb.
Wie es ab hier weitergeht, dürft ihr gerne selbst einmal erleben. Nur so viel verrate ich euch noch. Das fertige, gewürzte Dinkelbrot gab es zwischendurch schon mal zum Probieren inkl. einem von Jenny selbstgemachten, aromatischen Kichererbsen-Aufstrich und zum Nachtisch Hildegards’s Nerven-Energie-Kekse. Von beidem gab es natürlich auch das Rezept für zu Hause. Final wurden die Brotteiglinge übrigens im historischen Steinbackofen des Museums abgebacken und durfte sein Exemplar ebenfalls mit nach Hause nehmen.
Ich fand das Seminar trotz der fünfstündigen Dauer sehr kurzweilig, konnte sehr viele Tipps und Anregungen mit nach Hause nehmen und durfte ein bisschen in Erinnerungen schwelgen. Ich kommen gerne wieder, vielleicht im Frühjahr, wenn es zum Beispiel um das Bärlauchbrot geht. Wer gerne selbst einmal teilnehmen möchte, kann sich unter der Telefonnummer 02158-91730 informieren oder eine Mail schicken an freilichtmuseum@kreis-viersen.de.