
Altstädte am Niederrhein – Teil 1: Historisches Wegberg-Beeck
Neues Jahr, neue Rubrik! Es gibt so viele schöne Altstädte am Niederrhein, die ich euch gerne vorstellen möchte. Ich starte mit Wegberg-Beeck, der Heimat von Christian Pape, Bürgermeister der Mühlenstadt Wegberg, und, neben Tüschenbroich, die älteste Ansiedlung der Stadt Wegberg. Hier gibt es so einige Geschichten und Anekdoten, die mir Ur-Beecker und Geschäftsführer des Kulturförderkreis OPUS 512 e.V. Heinrich Heinen bei einem kleinen Rundgang verrät. Neugierig?
Als wir an dem kleinen Parkplatz an der Holtumer Straße direkt an der Südseite der Kirche St. Vincentius in Wegberg-Beeck ankommen, wartet auch schon Heinrich Heinen vom Kulturförderkreis OPUS 512 e.V. auf uns. Er ist nicht nur Ur-Beecker und hat so einige Geschichten auch aus seiner Kindheit zu berichten, sondern kennt auch jede Menge Historie über den Ortsteil Beeck.
„Beeck ist einer der ältesten Ansiedlungen der Stadt Wegberg. Und genau hier, wo wir stehen, war bis 1965 eine Volkshochschule und ein Spritzen- bzw. Feuerwehrhaus mit einer Gefängniszelle in der ersten Etage“, beginnt Heinrich die Führung. „Nach dem Abriss entstand 1965 bis 1970 ein neuer Anbau der Kirche und in den gehen wir mal kurz hinein.“
Die Kirche St. Vincentius
Das Angebot nehme ich gerne an, denn draußen pfeift gerade ein kalter Wind, mit dem ich heute nicht wirklich gerechnet habe. Heinrich schließt schnell die Kirche auf und wir betreten die spätgotische Hallenkirche aus Ziegeln und Tuffstein, die 1401 erbaut wurde. „Die Kirche St. Vincentius hat sich immer weiter verändert. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurden die beiden Seitenschiffe hinzugefügt und 1965 nach Plänen des Architekten Karl Otto Lüfkens erweitert.
Was mir schon beim Betreten ins Auge fällt, ist die beachtliche Größe, die nicht jede Kirche am Niederrhein zu bieten hat. Dann fällt mein Blick auf die große Orgel. „Wir haben die Orgel für 360.000 DM 1969 neu angeschafft und am 1. Advent feierlich eingeweiht“, erinnert sich Heinrich. „Bis dahin war das die größte Orgel im Erkelenzer Raum.“
Was ebenfalls besonders ist, dass man durch die großzügige Gestaltung des Erweiterungsbaus eine uneingeschränkte Sicht auf den Organisten hat, ohne störende Pfosten. „Auch die Akustik ist hervorragend. Deshalb finden hier regelmäßig Orgel-, Symphonie- und Chorkonzerte statt. Immerhin gibt es hier 480 Sitzplätze. So waren auch schon Persönlichkeiten wie Organistin Elisabeth Ullmann aus Wien und Prof. Christian Schmitt, Principal-Organist der Bamberger Symphoniker, bei uns.“
Bevor wir die Kirche wieder verlassen, erkundige ich mich noch nach den lebensgroßen Krippefiguren aus Lindenholz, an denen wir gerade vorbeigehen. „Die haben wir seit 1971 und bereichern die Vorweihnachtszeit bis in den Januar hinein.“
Wieder auf dem Parkplatz angekommen, schaue ich mir mit Heinrich den Kirchenturm an, der ebenfalls zu beeindrucken weiß. Der mächtige, sechsgeschossige Glockenturm an der Westseite wurde um 1500 fertiggestellt, ist 65 Meter hoch, hat sechs Glocken und die schwerste wiegt 105 Zentner. „Man sagt, dass die Kirche neben dem Kölner Dom das schönste Geläut hat, zumindest hier am Niederrhein“, schmunzelt Heinrich.
Die Motte Beeck
Die Motte Beeck
Dann gehen wir ein paar Schritte weiter und stehen vor der Motte Beeck. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein einfacher Hügel. „In flachen Ländereien suchten die BürgerInnen dort Schutz. An diesem Info-Schild siehst du, wie es hier einmal ausgesehen hat.“, weist Heinrich mich auf das Holzschild hin.
Kleiner Exkurs: Eine Motte ist eine frühmittelalterliche Befestigungsanlage, die aus einem künstlich oder natürlich aufgeschütteten Hügel (dem sogenannten Mottenhügel) besteht. Auf diesem Hügel stand meist ein hölzerner oder steinerner Wehrturm, der als Verteidigungs- und Wohnraum diente. Der Hügel wurde oft von einem Graben und einem Wall umgeben und durch eine Vorburg ergänzt. Motten waren besonders im 10. bis 13. Jahrhundert in Europa verbreitet und galten als leicht zu errichtende und effektive Schutzbauten.
Hier in Beeck ist die Motte die erste nachzuweisende Burganlage. Die Burg war Stammsitz der Herren von Beeck, die dem Ort den Namen gaben. In späterer Zeit wurden steinerne Gebäude errichtet. Die denkmalgeschützte Anlage der Vorburg, einen Backsteinbau mit einem Torturm errichtete man im 17. Jahrhundert. Die Hauptburg stürzte 1762 ein und wurde danach völlig abgetragen.
Das alte Küsterhaus
Weiter geht unser Rundgang und wieder sind es nur einige Meter bis zum nächsten Gebäude. „Das ist das alte Küster- bzw. Vincentiushaus, unten massiv gebaut und oben Fachwerk. Früher haben hier Nonnen gewohnt, die auch die Krankenversorgung übernahmen. Auch der erste Kindergarten war in diesem Haus“, erklärt mir Heinrich.
Heute ist unten eine Bücherei und im hinteren und oberen Bereich ein Veranstaltungshaus für Theaterstücke, Lesungen und kleine Konzerte. Auch wir vom Kulturförderkreis OPUS 152 e.V. haben hier ein Zuhause und Aufführungsort gefunden“, führt mich Heinrich durchs Haus und zeigt mir eine Etage höher einen weiteren Raum. „Hier in diesem charmanten Raum mit den alten, typischen Balken, steht nicht nur unser schöner Flügel, sondern es finden auch ein paar Veranstaltungen von uns statt.
Die Flachszeit
Dann geht es wieder nach draußen in Richtung Kirchplatz. „Überall siehst du Innenhöfe. Seit dem Mittelalter hat der Anbau und die Verarbeitung von Flachs eine bedeutende Rolle in der Region gespielt“, betont Heinrich und zeigt auf einer der Höfe in Richtung „Spanische Kall“, die vor etwa 200 Jahren die Staatsgrenze zu den damals Spanischen Niederlanden bildete.
Flachs war eine der wichtigsten Nutzpflanzen und wurde zur Herstellung von Leinen verwendet, das damals ein gefragtes Material für Kleidung, Säcke und Segeltuch war. In Beeck, wie in vielen Teilen des Niederrheins, gab es zahlreiche Flachsfelder, die von den örtlichen Bauern bewirtschaftet wurden. Der Flachs wurde nach der Ernte in speziellen Flachsrösten, oft an feuchten Wiesen oder Bächen, eingeweicht, um die Fasern zu lösen. Danach folgten das Brechen, Hecheln und Spinnen, bis schließlich das Leinen gewebt wurde.
Diese Zeit prägte das Dorfleben und die Wirtschaft der Region. Viele Familien waren in den verschiedenen Arbeitsschritten der Flachsverarbeitung tätig, während der Handel mit Leinenprodukten zusätzliche Einnahmequellen bot. Heute erinnert u.a. das Flachsmuseum an diese wichtige Epoche, aber dazu später noch kurz mehr.
Der Kirchplatz
Jetzt stehen wir mitten auf dem Kirchplatz, der bis 1836 auch als Friedhof genutzt wurde. „Das Kreuz da vorne ist noch ein Relikt aus dieser Zeit und steht schon seit 1791 an dieser Stelle. Bei heutigen Erdarbeiten werden auch immer noch Knochen aus den alten Gräbern gefunden“, berichtet Heinrich weiter.
Mein Blick wandert von dem Kreuz und der Kirche auf die Häuser gegenüber. Besonders ins Auge fällt mir Hausnummer 6, ein schönes Patrizierhaus, das um 1850 erbaut wurde. „In diesem Haus war früher ein Händler, der Flachs verkauft hat. In der ersten Etage und im Dachgeschoss lagerte er die Ware. Seit Anfang der 1980er-Jahre wohnt hier einer der zehn ersten Augenärzte Deutschlands, die den grünen Start operierten.“
Beecker Gesichter
Wir gehen ein paar Schritte weiter und stehen am alten Hotel zur Post, so steht es noch am Haus angeschlagen. „Früher war hier, wie der Name schon verrät, ein Hotel mit einer Bauernstube und einer Poststube. Hausherrin war Tante Juliane, eine vornehme Frau, die einen Papagei und einen weißen Spitz hatte“, erinnert sich Heinrich und schmunzelt.
Daneben war ein Haushaltswarengeschäft und in der dazugehörigen alten Zehntscheune ist jetzt das Flachsmuseum untergebracht.
Das Flachsmuseum
In diesem einzigartigen Ort wird die jahrhundertealte Tradition der Flachsverarbeitung lebendig gehalten. Das Museum vermittelt anschaulich den Weg vom Leinsamen über die Flachspflanze bis hin zum fertigen Leinen. Besonders beeindruckend sind die vielen alten Geräte und Techniken, die Schritt für Schritt erklärt werden. Besucher können nicht nur den traditionellen Arbeitsprozessen wie Brechen, Schwingen und Hecheln zusehen, sondern diese sogar selbst ausprobieren – perfekt, um das sogenannte "Flachsdiplom" zu erwerben.
Doch das Museum bietet mehr als nur Einblicke in Handwerkskunst: Es erzählt auch spannende Geschichten rund um Redewendungen, die ihren Ursprung im Flachsanbau haben. Wusstet ihr, dass „sich verhaspeln“ von der Haspel stammt, mit der die Flachsfäden auf gleiche Länge gebracht wurden? Solche kleinen Details machen den Besuch zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ergänzt wird das Angebot durch ein gemütliches Leinenlädchen mit regionalen Produkten und einen Veranstaltungsraum für bis zu 95 Personen.
Das Trachtenmuseum
Das nächste Beecker Highlight lässt nicht lange auf sich warten und findet sich am Kirchplatz 7 nur wenige Schritte entfernt – das Museum für europäische Volkstrachten.
Untergebracht in einem ehemaligen Bürgermeisteramt, beherbergt es mit über 150 Trachten aus 60 Ländern die größte Sammlung. Jede Tracht erzählt eine eigene Geschichte: Sie spiegelt nicht nur die kulturelle Identität wider, sondern verrät auch etwas über den sozialen Stand, den Beruf oder den Familienstatus ihres Trägers.
Besonders faszinierend sind die feinen Details, wie die Farbe von Schürzen in Hessen, die über den Beziehungsstatus der Trägerin Auskunft geben, oder die außergewöhnlichen Kopfbedeckungen, die einst böse Geister fernhalten sollten. Auch kuriose Modetrends, wie die Schlaufenhaube aus Schaumburg-Lippe, die von der spanischen Mode des 19. Jahrhunderts inspiriert wurde, zeigen, wie international vernetzt Kleidung schon damals war.
Das Trachtenmuseum ist ein Ort voller Geschichten, die nicht nur Modeinteressierte begeistern. Es trägt dazu bei, Traditionen zu bewahren und die Bedeutung von Kleidung als Kommunikationsmittel zu verdeutlichen.
Mit Heinrich Heinen unterwegs
Erinnerungen
Bevor unsere kleine Tour schon vorbei ist – wir befinden uns wieder am Ausgangspunkt an der Südseite der Kirche – hat Heinrich noch eine Anekdote aus seiner Jugend parat. „In dem Haus auf der Ecke, die Nummer 12, war früher ein Lebensmittelgeschäft. Und als wir nach der Schule dort vorbeigegangen sind, hat einer von uns Jungs für ein paar Groschen Bonbons gekauft, somit den Verkäufer abgelenkt und wir haben aus dem Fass im Flur heimlich eine eingelegte Gurke geklaut“, lacht Heinrich.
Mehr Beecker Geheimnisse
Über Beeck gibt es aber noch das viel mehr zu erfahren. Bereit?
Siedlungsspuren aus der Steinzeit:
· Beeck war bereits in der jüngeren Steinzeit besiedelt, wie archäologische Einzelfunde belegen.
Wechselnde Herrschaften:
· Um 1020 gehörte Beeck als Lehen zur Herrschaft Wassenberg.
· Später ging es an den Herzog von Limburg und 1288 an den Hof zu Brabant.
· 1472 kam Beeck durch Heirat zum Herzogtum Jülich. Aus dieser Zeit stammt auch das heutige Wappen mit dem schwarzen Löwen auf goldenem Grund.
· Um 1800 stand Beeck unter französischer Herrschaft, bevor es 1815 nach dem Wiener Kongress preußisch wurde.
· 1816 richtete die preußische Verwaltung die Bürgermeisterei Beeck im Landkreis Erkelenz ein.
Die Ringstraße und der Wegberger Ring:
· Zwischen 1939 und 1942 entstand eine 9,2 km lange Umgehungsstraße rund um Wegberg und Beeck, die im Auftrag der Wehrmacht gebaut wurde.
· Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie als Rennstrecke genutzt.
· Von 1948 bis 1952 fanden hier fünf große Auto- und Motorradrennen statt, die Wegberg international bekannt machten.
· Der "Wegberger Ring" galt als eine der schnellsten Rennstrecken der Welt; nach einem Unfall mit 13 Toten und 42 zum Teil Schwerverletzten wurden die Rennen eingestellt.
Kirchliche Neugliederung:
· Zum 31. Dezember 2012 wurde die eigenständige Pfarrgemeinde Beeck aufgelöst. Ab dem 1. Januar 2013 wurde Beeck als Filialgemeinde in die neue Kirchengemeinde St. Martin Wegberg eingegliedert.
Veranstaltungen:
· Pfingsten findet in Beeck das größte Schützenfest im Erkelenzer Land statt.
· Der Beecker Weihnachtsmarkt öffnet am 1. Adventswochenende seine Türen.
· In der Vincentiuskirche und im Vincentiushaus veranstaltet der Kulturförderkreis OPUS 512 e.V. jährlich mehrere Konzerte, vom Orgelkonzert über Chorkonzerte und Symphoniekonzerte bis zum Jazzkonzert, mit nationalen und internationalen Interpreten.
· Der Heimatverein Beeck e.V. veranstaltet Führungen durch die „Beecker Erlebnismuseen“, Flachsmuseum und Volkstrachtenmuseum, vergibt das Flachs-Diplom, lädt zum einmal im Monat zum Backestag, Brot und Flammkuchen, und vierteljährlich zum gemeinsamen Singen, der Jahreszeit entsprechend, ein.